Déjà-lu? Bücher


Titel
Die blaue Blume
Autor
Penelope Fitzgerald
Genre
Erschienen
14. Juli 2019
Verlag
Insel Verlag
Seiten
250
Preis
10,00 €
ISBN
978-3458364184
SchönBuchHandlung

Wenn eine britische Autorin über ein zutiefst deutsches Thema schreibt…

Was wissen wir eigentlich über Friedrich von Hardenberg, außer, dass er unter dem Künstlernamen „Novalis“ die „blaue Blume“ (er)fand und im Alter von 29 Jahren allzu bald die frühromantische Schriftstellerbühne verlassen musste? Vielleicht haben wir von seinem Romanfragment „Heinrich von Ofterdingen“ gehört oder gar die „Hymnen an die Nacht“ gelesen?

Wer gerne mehr erfahren möchte über diese Person und seine Zeit, die gesellschaftlichen Verhältnisse und seine persönlichen Verstrickungen darin, sollte sich mit Penelope Fitzgeralds Roman „Die blaue Blume“ in einen gemütlichen Sessel setzen und eintauchen in einen winzigen Ausschnitt kleindeutscher Welt des ausgehenden 18. Jahrhunderts.

In 55 kurzen Kapiteln, geradezu episodenhaft-impressionistisch, entfaltet sich die Romanhandlung: Erzählt wird eine Zeitspanne von sieben Jahren, innerhalb derer sich die fragile Liebesgeschichte zwischen dem 22-jährigen Friedrich von Hardenberg und der zehn Jahre jüngeren Sophie von Kühn, ereignet. Nach Abschluss seines Jurastudiums 1794 wird Hardenberg, der heimlich auch Literatur, Geschichte und Philosophie studiert hatte, nicht in den Staatsdienst übernommen, sondern zu einem Freund des Vaters geschickt, um sich eine Zeit lang als Aktuarius zu verdingen. Heute würde man das „ein Praktikum machen“ nennen. Im Haushalt seines Vorgesetzten, welcher im Laufe der Zeit gleichsam sein Vertrauter wird, lernt der junge Mann eine Welt kennen, die so ganz anders ist als sein streng pietistisch ausgerichtetes, vom Vater autoritär geführtes, finanziell stets klammes Elternhaus. Eine heitere Lebenslust, frei von religiösen und moralischen Zwängen, wirtschaftlicher Wohlstand und ein inspirierender Bekanntenkreis prägen seine neue Umgebung und bilden eine Gegenwelt zur bisher erfahrenen bedrückenden Enge. Hier findet schließlich die Begegnung mit der 12-jährigen Sophie von Kühn (auch „Söphgen“ genannt) statt. Zum Entsetzen aller verliebt sich Hardenberg auf der Stelle in dieses Mädchen, das ungebildet, dumm und nicht einmal hübsch ist, und forciert die Verlobung (März 1795); spätere Heirat eingeschlossen. Im November desselben Jahres erkrankt Sophie schwer, zwischen Mai und Juli 1796 muss sie drei Operationen über sich ergehen lassen, die ihr aber das Leben nicht retten können. In dieser Zeit erleben wir einen Hardenberg, der getrieben ist von der Suche nach seiner „blauen Blume“, hin und hergerissen zwischen Verstand und Gefühl, Pflichterfüllung und Ausbrechen aus den Konventionen. Soweit, so biografisch. 

Eingebettet ist die Schilderung dieser „amour fou“ in das Porträt einer ganzen Epoche. Die Autorin streift viele gesellschaftlich relevante Themen, ohne die Zustände jedoch zu vertiefen: Familienstrukturen und gesellschaftliche Hierarchien, die Stellung bzw. Rolle der Frau, Stand des medizinisch Möglichen bei den typischen Krankheiten, wirtschaftliche Strukturen usw. Goethe, Schiller, Fichte und Schlegel bekommen genauso ihren Platz in diesem Panoptikum wie die Französische Revolution. Ein Duell findet ebenso statt wie ein operativer Eingriff.  Dass es dabei zu einigen historischen „Unebenheiten“ kommt, ist verzeihlich. Im Gegenteil: Die fiktiven Persönlichkeiten und Ereignisse geben dem biografischen Gerüst eine charmante Note. 

Indem Fitzgerald auf Erklärungen verzichtet und die Personen sozusagen ohne Regieanweisung interagieren lässt, wird der Leser unmittelbar und ungefiltert mit dem Leben, den Gefühlen und Ansichten der Protagonisten konfrontiert. Die vielen verschiedenen Charaktere sind scharf konturiert und sprechen für sich. Glückliche Stimmungen kristallisieren sich genauso klar heraus wie atmosphärische Störungen oder Aufruhr; und immer findet man sich als Leser unmittelbar im Geschehen. Viele Szenen, die sich innerhalb der Großfamilie Hardenberg (elf Kinder) abspielen, entbehren nicht einer gewissen Komik: Humorvoll bis heiter, mit leichter Feder skizziert, kommen diese Momente daher; wenn beispielsweise von den Eskapaden des jüngsten Familienmitglieds berichtet wird oder die Geschwister miteinander disputieren. 

„Es ist ein großer Unterschied, ob ich lese zum Genuss und Belebung oder zur Erkenntnis und Belehrung.“

Johann Wolfgang von Goethe

Wie schön, wenn man beides miteinander verbinden kann. Es war mir ein großes Vergnügen, diesen Roman zu lesen!

2015 wurde er auf die Auswahlliste der 100 bedeutendsten britischen Romane gesetzt. Penelope Fitzgerald gilt in ihrer Heimat als eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen des letzten Jahrhunderts. Ein Glück für uns, dass „Die blaue Blume“ auch in deutscher Sprache auf dem Buchmarkt erschienen ist.

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