- Titel
- Imperia
- Autor
- Joachim Zelter
- Genre
- Roman
- Erschienen
- 13. Januar 2020
- Verlag
- Klöpfer.Narr
- Seiten
- 176
- Preis
- 22,00 €
- ISBN
- 978-3749610174
Der neue Zelter. Joachim Zelter. Frisch aus der Druckerpresse. Ganz neu.
„Bewahre mich vor der Aufzählung endloser Einzelheiten und verleihe mir Schwingen, zur Pointe zu gelangen.“
Theresa von Avila
Ein Meister der Kurzprosa hat sich mal wieder gemeldet. Nach „Im Feld“ 2018 mit einem neuen Roman. Mit einem Roman von weniger als 180 Seiten. Kurzprosa eben. Eigentlich wie immer. Seine Spezialität. Ohne Umschweife, keine Ausschweifungen, direkt zum Punkt. Kurze, knappe, präzise Sätze. Manchmal etwas längere Sätze. Oder auch noch längere Sätze. Aber nur manchmal. Ein Meister der Sprache. Ein Sprachmeister, ein Wortakrobat, ein Sätzejongleur, ein Ausdrucksbeherrscher.
Joachim Zelter schreibt keine Sachbücher. Schon gar keine Krimis. Ebenso wenig Familiengeschichten. Auch keine Gesellschaftsromane. Eher entwirft er ein Gesellschaftsbild. Oder einen Ausschnitt dessen. Auf jeden Fall greift er immer ein gesellschaftliches Phänomen auf. Eskaliert es, treibt es auf die Spitze. Scheinbar harmlos beginnend. Zunächst Anwesenheit von Alltag. Ein Mensch in seiner persönlichen, meist prekären, Situation. Dann geschieht etwas, es dringt in sein Leben ein, allerhand bricht über ihn herein. Veränderung von Alltag. Dinge verselbständigen sich, laufen aus dem Ruder. Der Mensch verliert die Kontrolle. Er bestimmt nicht länger sein Leben, sein Leben bestimmt ihn. Verlust von Selbstbestimmung, Abwesenheit von vertrautem Alltag. Der Versuch, sich zu wehren, zu entziehen. Entziehungsversuch. Erst zaghaft, dann drängend, fordernd. Persönliche Krise, kriselnde Persönlichkeit, Eskalation.
Gregor Schamoni, Schauspieler mit mäßigem Einkommen und bescheidenem Auskommen, braucht dringend einen Nebenjob. Zum Geldverdienen, zum Überleben. Er kommt nicht mehr über die Runden. Zu wenig Geld, zuviel Monat.
„Und während es sogar Schauspieler gibt, die von ihrem Beruf tatsächlich leben können, die mit einem solchen Beruf nicht nur ein, sondern sogar mehrere Leben ernähren können, so gibt es in der Tat auch Schauspieler, die mit ihrem Beruf kein einziges Leben ernähren können, nicht einmal ihr eigenes, die, im Gegenteil, zahlreiche Leben führen müssen, um damit ihren Beruf zu ernähren. Kaum ein Ruf, dem ein solcher Schauspieler nicht folgen würde. Kaum ein Arrangement, auf dass er sich nicht einlassen würde. Kaum ein Irrsinn, der für ihn nicht irgendwie denkbar wäre.“
Imperia, S. 11
Also annonciert er verschiedene Dienstleistungen. Dienstleistungen aller Art. Er kann auf vielfältige Weise zu Diensten sein.
„…. Er bietet und bietet. Er bietet sich selbst. Er bietet die Welt. Er bietet sein ganzes Leben.“
Imperia, S. 13
Und tatsächlich, sein Anbieten trägt Früchte: Iphigenie de la Tour, Professorin der Anthropolgie. Imposante Erscheinung. Figürlich, bekleidungs- und schminktechnisch, wesensmäßig und charakterlich in jeder Hinsicht exorbitant. Und wichtig, richtig wichtig. Termine, Telefonate, Besprechungen. Überall und immer andere herumkommandierend. An der Universität oder im Restaurant oder auf der Straße. Auf Zebrastreifen und Verkehrsinseln parkend. Von sich zutiefst überzeugt und eingenommen. Das erste Kennenlernen gleich ein Verhör: Herkunft, Hobbys, Vorlieben und vieles mehr. Dann ihr Anliegen: Sie wolle ihre Memoiren schreiben und benötige professionelle Unterstützung. Einen Lektor, Berater, Sekretär oder was auch immer. Gute Bezahlung garantiert. Weiteres, besseres Kennenlernen inbegriffen.
Was im Folgenden passiert, ist die Vereinnahmung eines Menschen durch einen anderen Menschen. Auf der einen Seite Iphigenie de la Tour. Ungefragt dringt sie immer weiter in Gregors Leben vor, nistet sich darin ein wie ein ungebetener Gast und okkupiert es schließlich ganz. Allmähliches, zunehmend unverhohleneres Überhandnehmen ihrer Wünsche, Anforderungen, Ansprüche, ihrer Präsenz. Obsessives Verhalten pathologischen Ausmaßes. Selbst bei physischer Abwesenheit Beherrschung von Gregors Gedankenwelt. Körperlich und geistig total übergriffig. Fragen nach seinen Befindlichkeiten allenfalls oberflächlicher Natur. Nur Eigeninteresse, Selbstgewissheit, Selbstverliebtheit, Rücksichtslosigkeit. Auf der anderen Seite Gregor. Der sich vereinnahmen lässt, weil er Einnahmen braucht. Der sich das Spiel aufdrehen lässt, weil er von seinem Schauspiel allein nicht leben kann. Der überfahren, überrollt, überrumpelt, überlebt wird. Der mehrmals den Halteknopf sucht und nicht drücken kann. Wehren zwecklos. Jasager statt Neinsager.
„Und es reifte in mir der Vorsatz, dass das so nicht weitergehen konnte, nicht in dieser Ständigkeit und Häufigkeit, nicht mit all diesen Berührungen und auch nicht ohne all diese Berührungen, dass ich sie, Frau de la Tour, in dieser Frequenz nicht weiter sehen konnte…, dass ich ihrem gewaltigen Kalender, den sie jedes Mal aufs Neue zückte, um neue Termine mit mir festzulegen, irgendetwas entgegensetzen musste: eine Lockerung, eine Abschwächung, eine Vertagung, ein offenes Wort.“
Imperia, S.51/52
Der guten Absicht, in freundlicher Atmosphäre eine Klärung herbeizuführen, folgt ein seitenlanger Dialog, ein Frage-und-Antwort-Spiel, das viele Themen berührt, nur nicht das eigentliche Problem. So geht es weiter. Immer weiter, immer wieder, immer wieder weiter. Kein Ausstieg möglich. Dann taucht Pia auf…
„Ich erklärte ihr die Unversöhnlichkeit der gesamten Situation, die gegensätzlicher kaum sein könnte: Ein Mensch, der nicht Nein sagen kann, trifft auf einen Menschen, der noch nie in seinem Leben ein Nein gehört hat. Oder ein Mensch, aus dem das Selbstwertgefühl herausgeprügelt wurde, trifft auf einen Menschen, dem man das Selbstwertgefühl von Anfang an hineingeprügelt hat. Ein Dienermensch trifft auf einen Herrenmenschen. Ein Angstmensch auf einen Befehlsmenschen. Wie so etwas gut gehen kann.“
Imperia, S. 110/111
Das, was Gregor an dieser Stelle in aller Ernsthaftigkeit zu Pia sagt, klingt fast wie die Quintessenz dieses Romans. Die Worte bringen den Inhalt auf einen Nenner. Kurz und bündig. Knapp und knackig. Durch einen äußerst kreativen Umgang mit Sprache schafft es Joachim Zelter, dem Leser einen vordergründig höchst vergnüglichen Lesegenuss zu bescheren. Doch hinter der vorhandenen sprachlichen Komik lauert die ganze Dramatik des Themas. Oft genug bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Wie immer, hat es Zelter nicht nötig, ein gewaltiges Personentableau in imposanter Kulisse aufzufahren, um den Finger in eine Wunde unserer Gesellschaft zu legen. Eine extreme, auf den Punkt zugespitzt erzählte „unerhörte Begebenheit“ reicht aus, das Problem deutlich zu machen. Auf Kosten ausufernder Geschwätzigkeit.
Fazit: Ein sehr guter Roman. Mal wieder. Eigentlich wie immer. Chapeau!