Déjà-lu?


Brief an die Eltern

Notiz / 20. Dezember 2020

Theodor Storm an seine Eltern

Heiligenstadt, 20. Dezember 1856

Es wird Weihnachten! Mein ganzes Haus riecht schon nach braunem Kuchen – versteht sich, nach Mutters Rezept – und ich sitze sozusagen schon seit einer Woche im Scheine des Tannenbaums. Ja, wie ich den Nagel meines Daumens besehe, so ist auch der schon halbwegs vergoldet. Denn ich arbeite jetzt abends nur in Schaumgold, Knittergold und bunten Bonbonpapieren; und während ich Netze schneide und Tannen- und Fichtenäpfel vergolde und die Frauen, d.h. meine Frau und Röschen, Lisbeths Puppe ausputzen, liest Onkel Otto uns die „Klausenburg“ von Tieck vor oder gibt hin und wieder eine Probe aus den Bilderbüchern, die Hans und Ernst auf den Teller gelegt werden sollen. Gestern Abend habe ich sogar Mandeln und Citronat für die Weihnachtskuchen schneiden geholfen, auch Kardamom dazu gestoßen und Hirschhornsalz. Den Vormittag war ich stundenlang auf den Bergen in den Wäldern herumgeklettert, um die Tannenäpfel zu suchen. Die Weihnachtszeit ist doch noch gerade so schön, wie sie in meinen Kinderjahren war. Wenn nur noch der Schnee kommen wollte; wir wohnen hier so schön einsam zwischen den Bergen (…). Jetzt, liebe Mutter, wünsche ich Euch herzlich vergnügte Weihnachten.

Euer Theodor

Gefunden in: „Kleines Adventsbuch. So leuchtet die Welt der Weihnacht entgegen. 24 Weihnachtsbriefe und Gedichte.“ Coppenrath Verlag, 2012.

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