- Titel
- Sehnsucht nach Pascasio
- Autor
- Herminio Schmidt
- Genre
- Autobiographie
- Erschienen
- 8. Dezember 2021
- Verlag
- Tredition (Print on Demand)
- Seiten
- 584
- Preis
- 23,99 €
- ISBN
- 978-3347317789
„Ich sehnte mich immer nach meinem Vater. Wir nannten ihn bei seinem Vornamen Pascasio, vielleicht, weil er kein Vater war, wie andere Kinder ihn hatten, ein Vater, der mit seinen Kindern und ihrer Mutter lebte. Ich weiß nicht mehr viel über die ersten Tage, an denen er bei uns war. Mein Bruder Roni, zwei Jahre älter als ich, wusste, dass Pascasio meist nach Einbruch der Dunkelheit kam. Hauptsächlich erinnere ich mich an seine Abwesenheit, in der Mutter die Wohnzimmermöbel umräumte.“
(Herminio Schmidt: „Sehnsucht nach Pascasio“, S.17)
Ein Autor, den man nicht kennt. Ein Titel, der auf den ersten Blick gemischte Gefühle weckt. Ein Buch, das nur auf Bestellung gedruckt wird (Print on Demand). Das in keiner Buchhandlung auf dem Präsentierteller liegt: Warum sollten wir ausgerechnet dieses Buch lesen und auch noch darüber sprechen? Meine Antwort: Genau deshalb!
Die Pfade, auf denen Bücher zu mir gelangen, sind oftmals verschlungen. „Sehnsucht nach Pascasio“ ist mir bei beim Sommerfest eines Freundes ganz zufällig über den Weg gelaufen. Als ich davon hörte, war ich zugegebenermaßen aus mehreren Gründen ein wenig skeptisch, andererseits aber auch furchtbar neugierig darauf. Das Buch landete dann wenig später auf meinem Büchertisch; ich habe angefangen zu lesen und konnte mich nicht mehr aus dieser Geschichte stehlen! Sie entwickelte einen Sog, dem ich mich einfach nicht mehr entziehen konnte.
Der Autor Herminio Schmidt erzählt uns Leser:innen seine außergewöhnliche Lebensgeschichte. Er nimmt uns mit auf eine abenteuerliche Reise durch viele Jahrzehnte (von 1939 bis in die Gegenwart) und um die halbe Welt. Sie ist dominiert von der unstillbaren Sehnsucht und der langen Suche des Sohnes nach seinem Vater Pascasio.
Der vierjährige Wolfi (Herminio) lebt glücklich mit seinem sechsjährigen Bruder Roni, seiner deutschen Mutter Klara und dem spanischen Vater Pascasio in Berlin. Seit 1930 berichtet der Journalist in Diensten der Hitler-Propaganda in Zeitungen und Radiokommentaren für die spanischsprachige Welt. Eines Tages stürzt Pascasio in die Wohnung, verbrennt seine Papiere, verlässt panikartig ohne weitere Erklärungen die junge Familie und bricht jeden Kontakt ab. Dieses traumatische Erlebnis beeinflusst die Kinder zutiefst und prägt sie für den Rest ihres Lebens.
Die andauernde Sehnsucht nach dem verschwundenen Vater ist für den heranwachsenden Herminio deshalb Antrieb, Pascasio zu finden und das Rätsel des mysteriösen Ereignisses von 1939 zu lösen. Diese Suche, die wir Leser:innen hautnah miterleben dürfen, wird zu einer Recherche nach den Wurzeln seines Lebens und entfesselt heftige Konflikte. Herminio spürt nicht nur unbekannte Verwandte auf, er entdeckt auch Geheimnisse, die über Generationen hinweg schmerzhafte Spuren hinterlassen haben.
Die Schrecken der Kriegszeit in Berlin und im besetzten Polen beschreibt der Autor noch durch die Augen eines Kindes. Die sprachliche Gestaltung der vielen verschiedenen Emotionen – Trauer, Wut, Freude, Glück… – mit denen dieser kleine Mensch versucht, seine Welt zu begreifen; die oftmals naiven, manchmal auch erstaunlich hellsichtigen Blicke, die er auf die Geschehnisse wirft, verbinden uns beim Lesen tatsächlich mit der kindlichen Seele.
Die abenteuerliche Spurensuche in der Nachkriegszeit führt den jugendlich bzw. erwachsen erzählenden Sohn nach Spanien, Kanada, USA, Kuba, Panama und schließlich in ein kleines Dorf auf der Kanareninsel La Gomera. Den Vater immer fest im Fokus, erlebt Herminio auf seiner langen Reise viele ungeheuerliche, sehr oft unglaubliche Begebenheiten. Wir Leser:innen staunen, lachen, weinen, schütteln den Kopf und wundern uns: Wer hat schon mit Fidel Castro Tischtennis gespielt? Oder wer war schon einmal in die Machenschaften von Geheimdiensten verstrickt? All das und noch viel mehr ist ebenso unterhaltsam wie informativ und hält den Bogen der Erzählung permanent gespannt.
Der spannende Inhalt und die formale Gestaltung machen das Lesen leicht. Der Roman hat ein wenig Tagebuch-Charakter: Die Ereignisse werden streng chronologisch und in vielen kurzen Kapiteln erzählt, und der Verfasser tritt nur dann zurück und wechselt den Erzählton, wenn er über Allgemeinheiten berichtet. Eine Gefahr, die Lektüre deshalb häufig zu unterbrechen, besteht allerdings nicht. Vielmehr werden wir dazu verleitet, immer weiter zu lesen. Wie bei einem echten „Pageturner“ wollen wir unbedingt erfahren, was als nächstes passiert. Für diejenigen, die bei Familiengeschichten schnell den Überblick über die Personen verlieren, ist bestens gesorgt: Es gibt einen Anhang, der ihre familiäre und geografische Zugehörigkeit auflistet.
Mit „Sehnsucht nach Pascasio“ hat Herminio Schmidt eine faszinierende Story geschrieben, die sich wie ein Krimi liest. Er verbindet die wichtigsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts mit seiner zutiefst persönlichen Familientragödie. Während der kleine Wolfi durch das Verschwinden seines Vaters anfänglich erschüttert ist, zeigt seine Suche, dass dieser Moment für den Mann Herminio, zu dem er geworden ist, eine zentrale Bedeutung hat.
Für mich gibt es gute Gründe, warum ich Euch „Sehnsucht nach Pascasio“ empfehlen möchte. Beim Nachdenken über das Gelesene wurde mir die Vielschichtigkeit des Romans bewußt: Da ist die äußere Schicht, die das Gesamtwerk als fesselnde Unterhaltung charakterisiert. Nichts ist vorhersehbar, alles kann passieren; nie ist es langweilig, immer bleibt es spannend. Eine Abenteuergeschichte par excellence, wenn man so möchte. Geht man aber weiter in die Tiefe, wird man Zeuge eines spannenden Geschichtsunterrichts. Zweiter Weltkrieg, Nachkriegszeit, Teilung Europas, Franco-Diktatur und Kuba-Krise sind nur einige Schlagworte, mit denen sich der zeitgeschichtliche Rahmen stecken lässt. Gräbt man noch weiter im Text, wird man Teil einer tragischen Familiengeschichte, die ihren erzählerischen Startpunkt im Jahr 1939 hat, aber deren Wurzeln noch weiter in die Vergangenheit hineinreichen. Schließlich gelangt man zum Kern dieser beeindruckenden Lebens- und Entdeckungsreise: Die eigentliche Botschaft, die der Autor uns Leser:innen vermitteln möchte, ist, dass wir immer weitermachen sollen, egal was kommt; dass wir niemals aufgeben sollen, egal, wie widrig die Umstände sind!
Ihr Lieben, dieses Buch ist ein Geschenk, weil uns der Autor seine persönliche Geschichte anvertraut, einen tiefen Einblick in seine Seele gewährt, Mut macht und Heilung aufzeigt, und nicht zuletzt eine einzigartige Verbindung zwischen Autor und Leser:innen schafft.
Unbedingt lesen!
Am 24. Januar 2023 wollen wir mit Herminio Schmidt über sein Buch diskutieren:
https://www.literaturkreis.online
Wenn Ihr mehr über den Autor erfahren wollt, schaut Euch gerne auf seiner Website um: https://www.herminioschmidt.com