Ein Abend voller Poesie
Notiz / 7. Oktober 2020
Liebe Bücherfreunde,
heute möchte ich Euch von einer Veranstaltung berichten, die ich gestern Abend besucht habe und die mich eine gute Stunde lang regelrecht verzaubert hat. Unter dem Titel „In mir die Lilie, die nicht gegossen werden kann“ hatte die VHS Tübingen zu einer Lyrik-Lesung eingeladen, die zu einer kurzen, aber intensiven Reise in die Welt der Poesie des großen spanischen Dichters Federico García Lorca wurde. Vortragender war der aus dem Schwarzwald stammende José F.A. Oliver, seit vielen Jahren ein ausgewiesener Kenner des Lorca-Universums, als Deutsch-Spanier in beiden Sprachwelten heimisch und für viele Übertragungen der Verse ins Deutsche verantwortlich. Ihm beim Rezitieren der ausgewählten Gedichte zuzuhören, war nicht nur ein Genuss für die Ohren, sondern auch Balsam für die Seele. Als Zuhörer konnte man das Einswerden des Künstlers mit der Lyrik förmlich spüren. „Ausdrucksstark“ und „einfühlsam“ ist vielleicht das Begriffspaar, um die Hingabe an das Werk treffend zu charakterisieren.
Oliver hat sich aber nicht auf das Vortragen der Gedichte beschränkt. Vielmehr hat er spannende Einblicke in Zeit, Welt und Leben Lorcas und seine eigene Beschäftigung damit gegeben. Wir haben z. B. erfahren, dass der empfindsame Künstler nicht gerne von „Übersetzung“, spricht, sondern von „Einschreibung“, „Annäherung“, „Irritation“, „2., 3., 4…Originalen“, denn ein Gedicht kann über die Jahre hinweg immer wieder neu gelesen und interpretiert werden. Man muss kein Lyrik-Fan sein, um die Faszination zu spüren, die von einer intensiven Auseinandersetzung mit Sprache ausgeht. Aber ich glaube, dass diese verdichtete Art der Literatur ein hohes Maß an Expressivität und extrem ausgeprägtes Sprachbewußtsein erfordert. Dazu die Bereitschaft, allen Feinheiten einer Sprache auf den allertiefsten Grund zu gehen.
José F.A. Oliver hat es gestern Abend jedenfalls geschafft, in mir eine Saite zum Klingen zu bringen, von der ich nicht wußte, dass es sie gab.
Vielen Dank dafür!